Komm, wir drucken uns eine Prothese!
Ersatzkörperteile aus dem 3D-Drucker
Seit einigen Jahren häufen sich Artikel, Fernseh- und Radiobeiträge darüber, was mit 3D-Druckern alles hergestellt werden könne: vom Kaffeemaschinen-Ersatzteil über kleine Doppelgängerfiguren von einem selbst bis hin zu ganzen Häusern und sogar 3D-gedruckten 3D-Druckern. Der Begriff »Drucken« hat hier allerdings nichts mit Papier und Tinte zu tun. Stattdessen wird ein Material, meist eine Art Kunststoff, erhitzt und von einer Düse Schicht für Schicht auf eine Druckplatte aufgetragen.1 In der Medizin und den Ingenieurswissenschaften werden äußerst hochwertige Varianten des Geräts schon länger genutzt, mittlerweile sind 3D-Drucker aber auch für die breite Masse immer erschwinglicher: Rund 1.000 Euro kostet ein guter Drucker für den Heimgebrauch. In den meisten Großstädten haben sich bereits sogenannte FabLabs etabliert – offene Hightech-Werkstätten, in denen eigene 3D-Druck-Projekte verwirklicht werden können, ein Copyshop der neuen Generation quasi. Wer nicht in ein FabLab möchte, kann seine Produkte auch im Internet bestellen.
Von den zu druckenden Bauteilen muss zunächst ein Software-Datensatz vorhanden sein. Dieser kann durch das 3D-Scannen eines vorhandenen Stücks entstehen, durch eigenes Designen mit Programmen wie Sketchup oder aber durch das Herunterladen frei verfügbarer, bereits vorhandener Bauplan-Datensätze. Für letzteres haben sich Design Communities wie www.thingiverse.com oder www.youmagine.com gegründet. Nach dem Web-2.0-Prinzip sammeln sie Datensätze für verschiedene Dinge wie Blumentöpfe, Spielzeug oder Werkzeuge und bieten diese kostenlos zum Download an. Es entsteht also eine Datenbank von frei verfügbaren, digitalen Bauplänen für die verschiedensten Gegenstände. Wird dies in Zukunft unsere bisherige Wirtschaftsordnung, das Gefüge von Produzent_innen und Konsument_innen von den Füßen auf den Kopf stellen? Ob Revolution oder überschätzter Hype – diese Entwicklung hat das Leben vieler Menschen (oder auch Tiere2) mit von Geburt an fehlenden oder amputierten Gliedmaßen bereits ein Stück weit verändert. Denn das 3D-Druckverfahren bietet vor allem zwei große Vorteile: Zum einen lassen sich Prothesen günstig herstellen und zum anderen können sie individuell angepasst werden.
Prothesen für alle!
Der Zugang zu Prothesen ist keineswegs offen und gleichberechtigt. Restriktive Bestimmungen von Krankenkassen (sofern überhaupt vorhanden) und hohe Preise machen gute Prothesen nur für die Allerwenigsten möglich. Seit aber die 3D-Druck-Technik auf dem Vormarsch ist, berichten die Medien immer häufiger über Menschen verschiedenen Alters und Herkunft, die dank der freien Bauplan-Software und der günstigeren Produktionsbedingungen über 3D-gedruckte Gliedmaßen verfügen – meistens handelt es sich dabei um Hand- und Armprothesen.3 Zudem finden sich sogar Videos im Internet, in denen Betroffene die auf thingiverse erhältliche »Cyborg-Beast«-Hand aus dem 3D-Drucker für rund 50 US Dollar für besser befinden als eine professionelle Handprothese für rund 40.000 US Dollar.
Die Idee von Händen und Fingern »Marke Eigenbau« aus dem 3D-Drucker geht auf den Südafrikaner Richard Van As zurück. Im Jahre 2011 verlor er bei einem Arbeitsunfall die Finger seiner rechten Hand. Da er sich einen professionellen Ersatz nicht leisten konnte, begann er selbst zu bauen. Einige Monate und eine erfolgreiche Crowdfunding-Aktion später entwickelte er gemeinsam mit dem US-Amerikaner Iwan Owen schließlich die ersten Hände aus dem 3D-Drucker und gründete das Projekt Robohand. Laut der Website haben sie bisher über zweihundert Menschen mit ihren Produkten – Robohand, -finger und -arm – ausgestattet. Auf den genannten Seiten der Design Communities finden sich mittlerweile verschiedene Abwandlungen der Robohand (siehe zum Beispiel Abb. 1). Im Mai 2014 wurde bereits der Prototyp eines Robolegs vorgestellt.
Zurück zur Mechanik
Verglichen mit den modernsten, auf dem Markt erhältlichen Handprothesen, die durch die Erfassung der elektrischen Signale aus der Muskelkontraktion funktionieren und durch eingebaute Sensoren neuerdings sogar auch Feedback geben können, wirken die 3D-gedruckten Hände eher mittelalterlich. Statt komplizierte Myoelektrik wird hier – im wahrsten Sinne des Wortes – auf einfache Mechanik zurückgegriffen: Durch die Bewegungen des Handgelenks, die auf (Nylon-)Fäden übertragen werden, schließt sich die Hand (siehe Abb. 2). Die Einzelteile können auch von Laien zusammengebaut werden. Für Menschen, die sich keine Hightech-Prothese leisten können, ist damit immerhin die basalste Funktion wieder hergestellt.
Diese relativ einfache Funktionsweise ist auch ein Grund für die geringeren Materialkosten. Zwar sind diese insgesamt für den Privatgebrauch von 3D-Druckern noch nicht allzu erschwinglich, in Bezug auf die Herstellung von Prothesen aber ausschlaggebend. Wie bereits angedeutet, reduziert sich der Preis vom vier- bis fünfstelligen Bereich in den zwei- bis dreistelligen für beispielsweise Armprothesen. Hinzu kommt, dass der 3D-Drucker wirklich nur so viel Material verwendet, wie benötigt wird. Es entsteht nur ein minimaler Überschuss, was auch aus ökologischen Aspekten wünschenswert ist. Es gibt auch Ansätze, Plastikabfälle wie zum Beispiel Getränkeflaschen zu 3D-Drucker-Material zu recyclen.
Durch die günstige und vereinfachte Herstellung ergibt sich ein weiterer Vorteil: Für Kinder zum Beispiel kommen oft hoch spezialisierte Prothesen nicht in Frage, da sie auf Grund des Wachstums ungefähr ein Mal im Jahr ausgewechselt werden müssten, was viel zu kostenaufwendig wäre. Mit den erschwinglicheren 3D-Händen ist das kein Problem, außerdem ist eine Operation nicht nötig. So handeln die meisten Berichterstattungen von erfolgreich eingesetzten Robohands von Kindern, die damit immerhin wieder Dinge festhalten und beidhändig Fahrrad fahren können. Das bunte, baukastenartige Design der Robohand erinnert weniger an ein medizinisches Hilfsmittel denn an ein Spielzeug und scheint sich ästhetisch in die Grundschulwelt relativ unauffällig einzupassen (siehe Abb. 3). Die Kinder werden dadurch vielleicht nicht unbedingt sofort als »krank« wahrgenommen. So meint der 12-jährige Leon Mc Carthy, er fände seine neue Hand »cool« und fühle sich damit »special instead of different«.4
Individuelle Anpassung durch 3D-Scannen
Neben den geringeren Kosten ist die individuelle Anpassung an den Stumpf, die durch das vorherige 3D-Scannen sehr präzise sein kann, der zweite große Vorteil für die Prothetik. Die konkrete Schnittstelle zwischen Mensch und Ersatzteil, nämlich dort, wo Stumpf und Prothese zusammentreffen, ist sehr sensibel und anfällig für Entzündungen. David Sengeh, Mitglied des Biomechatronics-Forschungsteams am MIT Media Lab um Hugh Herr, arbeitet derzeit an einer optimalen Kombination aus Form und Material für Prothesen-Ansatzstücke. Die MRT-Scan-Daten des Stumpfes werden unter Berücksichtigung der verschiedenen Belastungspunkte und Kräfteeinwirkungen so umgerechnet, dass der 3D-Drucker am Ende ein Ansatzteil aus verschiedenen Materialien und unterschiedlichen Härtegraden innerhalb des selben Teils, also eine Art synthetische Haut, herstellt. Dadurch sollen die Stumpfentzündungen verhindert werden, denn diese seien, so Sengeh, die häufigste Ursache dafür, dass Prothesen von den Betroffenen im Endeffekt dann doch meist nicht getragen werden. Auch Sengehs Motivation entspringt persönlicher Erfahrung, wie er auf seiner Website erklärt: Er ist im vom Bürgerkrieg geschüttelten Sierra Leone und somit mit vielen Amputierten aufgewachsen. Daher sei es ihm wichtig, dass die Herstellung seiner neuen Technologie günstig und leicht zugänglich ist.
Abgesehen von dieser »Demokratisierung der Prothese« verändert die 3D-Drucktechnik aber auch die professionelle Medizintechnik. Durch das vorherige Scannen können passgenaue Hüftgelenke oder Unterkiefer5 aus zum Beispiel Titan hergestellt werden. Besonders im Bereich der Zahntechnik werden so Kronen oder Brücken exakt und schnell hergestellt. Mittlerweile können die Drucker mit vielen verschiedenen Materialen drucken: Kunststoffe, Metalle oder auch Sand. Und auch das Drucken von organischem Gewebe ist schon möglich. Daran wird an mehreren Universitäten weltweit geforscht und chinesische Wissenschaftler_innen haben die ersten biologischen Ohrprothesen herstellen können.6 Werden Prothesen also in Zukunft aus organischem Material bestehen?
- 1. Dies wird als additives Verfahren bezeichnet. Beim subtraktiven Verfahren hingegen wird mittels einer Fräse Material von einem Block abgetragen, um dreidimensionale Gegenstände (allerdings ohne Hohlräume) herzustellen.
- 2. So wie diese Ente, die eine Silikon-Fußprothese aus dem 3D-Drucker erhält: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/behinderte-ente-bekommt-fussprothese-aus-dem-3d-drucker-a-908120.html (zuletzt abgerufen am 15. 6.2014)
- 3. Siehe zum Beispiel http://www.gute-nachrichten.com.de/2014/01/erfolgsgeschichten/project-daniel-und-die-prothese-aus-dem-3d-drucker/, http://www.elektronikpraxis.vogel.de/medizintechnik/articles/414852/, http://www.huffingtonpost.com/2013/11/04/dad-prints-prosthetic-hand-leon-mccarthy_n_4214217.html (zuletzt abgerufen am 15. 6.2014)
- 4. http://www. 3d-print-news.de/gerat-recycelt-plastikmull-fur-3d-drucker/ (zuletzt abegrufen am 15. 6.2014)
- 5. http://www.golem.de/news/prothese-83-jaehrige-erhaelt-unterkiefer-aus-dem-3d-drucker-1202–89589.html
- 6. http://www.pcwelt.de/news/Biologische_Ohr-Prothese_aus_dem_3D-Drucker_-Wissenschaft-8144143.html