Vielzahl und Vielfalt sind ein Kennzeichen der »Prothetik«- Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums. Die Sammlung umfasst etwa 700 Körperersatzteile, die vorwiegend aus dem 20. und 21. Jahrhundert stammen. Die Prothesen, Implantate und Orthesen, Seh-, Geh- und Hörhilfen haben sehr unterschiedliche Funktionen: Sie ersetzen amputierte Körperteile oder -funktionen, ergänzen als unzulänglich wahrgenommene Körper, kompensieren oder optimieren.
Unterarmprothese
Objektbeschreibung:
Lederprothese mit Namen und Aktenzeichen an der Oberarmmanschette. Seitlich je eine Aluminiumverstrebung mit einem "Gelenk" zwischen Ober- und Unterarmteil. Am Unterarm
ein Gewinde für das Befestigen des jeweiligen Arbeitsgerätes. Ein Arbeitshaken und ein -ring jeweils mit der Inschrift "Martin" sowie ein Tragegurt und ein Stumpfstrumpf beiliegend.
Zusatzinformationen:
Der Träger (*1910 - †2002?) der vorliegenden Arbeitsprothese wurde als Infanterieoffizier 1941/42 in der Nähe von Moskau verwundet. In Warschau wurde er von einem Schüler Sauerbruchs operiert, ohne nachfolgende Komplikationen. Anschließend verlegte man den Verletzten in ein Lazarett der Diakonissenanstalt in der Nähe von Duisburg. Die Prothese benutzte er u.a. bei der Gartenarbeit. Der Schriftzug "Martin" auf den Funktionsansätzen verweist eventuell auf den Hersteller "Gebrüder Martin", der vor allem chirurgische Instrumente fertigte. Im Sammlungsbestand befinden sich noch eine Unterarmschmuckprothese von diesem Träger, Dokumente des Versorgungsamtes sowie eine Abschrift betreffs seiner Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst. Der Träger der Prothese war einer der über 200.000 kriegsamputierten Männer, die 1950 in der BRD lebten. Mehr als 47.000 dieser Versehrten hatten einen Arm verloren.
Die zahlreichen Kriegsversehrten, die aus den beiden Weltkriegen zurückkehrten, sollten wieder ins Alltags- und Berufsleben integriert werden. Für ihre Beschäftigung in Handwerk, Industrie oder Landwirtschaft erhielten sie solche Arbeitsarme, bei denen die Werkzeuge direkt am Prothesenarm befestigt wurden. Die Ansatzstücke konnten ausgewechselt werden. Neben Haken und Ringen, die vielfältig verwendbar waren, gab es auch Aufsätze wie Feilen und Bürsten für berufsspezifische Verrichtungen. Aufsätze für Arbeitsarme sind konkreten Gebrauchsstellungen der Hand nachgebildet. Der Ring ahmt den ringförmigen Faustschluss nach, der Haken den Tragegriff.
Kriegsverletzungen stellten im 20. Jahrhundert neben Krankheiten, Unfällen und angeborenen Fehlbildung der Gliedmaßen eine Hauptursache von Amputationen dar. Daher wurden chirurgische Methoden und der Prothesenbau oft in und unmittelbar nach Kriegen weiterentwickelt. Mit Prothesen lassen sich viele Tätigkeiten ausführen, bei denen Kraft, Grob- und Feinmotorik nötig sind. Ihnen fehlt jedoch die Sensorik der Haut, die den Tastsinn ermöglicht.
- Bruttomaß (HxB): 11 x 21 cm (Strumpf) | Objektmaß (HxBxT): 1,5 x 7 x 11,5 cm (Arbeitshaken) | Objekt
- Leder, Metall, textiles Gewebe, Wolle | genietet, geprägt, gesteppt
Beiträge zu diesem Objekt
Ob Arm- oder Beinersatz, Hand- oder Fußprothese: Forschung und Technik laborieren seit jeher an dem Problem, verlorene Körperfunktionen zu ersetzen und dabei das Erscheinungsbild der Patientinnen und Patienten so gut wie möglich zu rekonstruieren. Die Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums (DHMD), die die Prothetik von 1870 bis in die Gegenwart dokumentiert, macht dies anschaulich: Die Objekte erzählen von der schwierigen Vereinbarkeit von Form und Funktion. Patientinnen und Patienten mussten bis in die zweite Hälfte des 20.
Eine Voraussetzung sowohl für den ästhetischen wie für den funktionalen Ersatz von Körperteilen ist die Verwendung zweckmäßigen Materials. Es muss sich einerseits gut formen lassen und andererseits die Solidität und Handhabbarkeit des Körperersatzteils garantieren. Welche Partien oder Funktionen auch zu ersetzen waren – immer waren Prothesenhandwerk und -industrie auf der Suche nach neuen Werkstoffen, um verlässliche, angenehm zu tragende Körperersatzteile fertigen zu können. Sie erprobten dabei Holz, Metall und Kunststoffe.
Das Deutsche Hygiene-Museum versteht sich als Museum vom Menschen. Seine Sonderausstellungen beschäftigen sich mit aktuellen oder historischen Themen aus Wissenschaft und Gesellschaft, Kunst und Kultur. Im Mittelpunkt der Dauerausstellung »Abenteuer Mensch« steht das Themenfeld Körper und Gesundheit. Körpergeschichte und damit die Frage nach dem Verhältnis von Körper und Gesellschaft bildet den thematischen Schwerpunkt der Sammlungstätigkeit des Deutschen Hygiene-Museums.